„Geht sie schon in den Kindergarten?“

Diese und ähnliche Fragen werden uns seit längerer Zeit recht häufig gestellt. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da sich unsere Tochter mit ihren drei Jahren im klassischen „Kindergartenalter“ befindet. Oftmals ist diese Frage auch nicht dazu angedacht, sich genaue Einzelheiten über unseren Familienalltag oder unsere Lebenssituation beschaffen zu wollen. Sondern sie soll schlicht und ergreifend den Einstieg in ein zwangloses Gespräch ermöglichen. Oder es handelt sich -ganz banal- um Smalltalk.  Erst gestern hatten wir diese Situation wieder einmal im Supermarkt. Zwischen Äpfeln und Birnen in der Obst- und Gemüseabteilung. Die Antwort lautet: Nein. Denn wir sind Selbstbetreuer.

Umso verwunderter ist meist der Blick des Fragestellers, wenn ich diese -wohl mehr oder weniger rhetorisch angedachte- Frage verneine. Meist wird dann sehr schnell die Antwort „Ach, es ist ja auch noch Zeit!“ nachgereicht. Wenn ich dann hinzufüge, dass meine Kinder gar keinen Kindergarten besuchen und dies auch nicht tun werden, erhalte ich üblicherweise eine der folgenden Reaktionen: Entweder ein verwundertes „Ah, nicht?“ (in ca. 75% der Fälle) oder ein „Das ist aber schön! Genießen sie die Zeit, sie geht so schnell vorbei.“ (in ca. 25% der Fälle).

Wenig negatives Feedback. Eher eine gewisse Ratlosigkeit.

An dieser Stelle muss ich anmerken, dass ich bislang kaum negative Rückmeldungen oder kritische Bemerkungen erhalten habe, wenn ich von unserer Alltagssituation berichtet habe. Oftmals haben sich auch sehr positive und konstruktive Gespräche entwickelt. Was wohl nicht selbstverständlich ist, denn von anderen Selbstbetreuern habe ich auch schon ganz andere Berichte gehört. Mein Mann wurde das ein oder andere mal während solch eines Gesprächs von seinem Gegenüber dezent darauf hingewiesen, dass „der Kindergarten so wichtig für die Sozialisierung“ sei und Kinder nur dort lernen würden, „sich auch mal zu behaupten“. Allerdings gehören weder mein Mann noch ich dem Typ Mensch an, der schnell zu verunsichern wäre oder sich auf großartige Diskussionen einlässt. Unser Leben, unsere Kinder, unsere (wohlüberlegte) Entscheidung. 

Häufig bemerke ich jedoch, dass sich mein Gesprächspartner nicht richtig vorzustellen vermag, wie es so ganz ohne Kindergarten überhaupt funktionieren kann. Wo bekommen die Kinder ihre Sozialkontakte und den täglichen „Input“ her? Und was tun wir eigentlich den ganzen Tag?

An dieser Stelle möchte ich jedoch anmerken, dass ich dies voll und ganz nachvollziehen kann. Schließlich ist es mir früher selbst nicht anders ergangen. Auch ich bin erst nach und nach in die „Selbstbetreuer-Szene“ hineingerutscht, habe mich mit anderen Kindergartenfreien ausgetauscht und mich für unser Alltagsleben inspirieren lassen. (Unseren Weg  hin zu einem Leben ohne Kindergarten könnt ihr übrigens hier nachlesen).

„Kindergartenfrei“ zu sein bedeutet eben nicht, dass die Kinder den ganzen Tag zu Hause herumsitzen. Und sich selbst bespaßen, während die Mama damit beschäftigt ist, den Haushalt zu schmeißen. Daher verwende ich auch gerne den Terminus „Selbstbetreuer“, wenn es darum geht, unsere Lebenssituation zu beschreiben. Es bringt das, was wir tun –nämlich unsere Kinder selbst zu betreuen– deutlicher auf den Punkt als die einfache Aussage „Sie gehen nicht in den Kindergarten“.

Ohne Kindergarten: Eine öde Kindheit?

Liest man sich Kommentare oder Meinungen in Internetforen durch, erhält man den Eindruck, ein Leben ohne Kindergarten sei gleichzusetzen mit: keine Spielkameraden, keinen Spaß, keine Freunde, keine Beschäftigung. Kinder, die keinen Kindergarten besucht haben, werden zwangsläufig zu sozialverkrüppelten Nerds heranwachsen. Und in der Schule werden sie sowieso von Anfang an zu den Außenseitern gehören. Ohne einen Kindergarten besucht zu haben lernen Kinder auch niemals eine anständige Rolle vorwärts (ja, das habe ich ernsthaft schon als Pro-Argument für den Kindergarten gelesen!). Und basteln können sie auch nicht. Noch schöner lesen sich fast nur noch Impfdiskussionen.

Vielleicht würde dies alles sogar eintreffen, wenn ich meine Kinder den ganzen Tag zu Hause isolieren und mich selbst auch nicht großartig mit ihnen befassen würde. Die Kinder alternativ den ganzen Tag vor dem Fernseher zu parken wäre eventuell auch noch eine Option.

Aber, ganz ehrlich: Würde das hier so ablaufen, bräuchte ich meine Kinder auch nicht zu Hause zu behalten … Dann wären sie in jeder mittelklassigen KiTa definitiv besser aufgehoben.

Selbstbetreuer: Was bedeutet das nun konkret?

Für den Begriff „kindergartenfreie Selbstbetreuer“ gibt es keine festgelegte Definition. Es beschreibt eine recht überschaubare Gruppe an Personen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen dazu entschlossen haben, auf eine außerhäusliche Betreuung ihrer Kinder zu verzichten. Ich möchte an dieser Stelle aber gerne erläutern, was dieser Begriff für mich bedeutet.

1) Es bedeutet, dass ich meine Kinder selbst betreue und diese Aufgabe niemand anderem überlasse. Keiner Kindergärtnerin, keiner Tagesmutter und keinem Kindermädchen. Ich bin die Person, die mit den Kindern Dinge unternimmt, mit ihnen bastelt und ihnen „die Welt zeigt“. Und Purzelbaum übt (*haha*).

2) Es bedeutet, dass ich dafür verantwortlich bin, dass meine Kinder ausreichend Kontakte zu anderen Kindern pflegen können. Ich organisiere Treffen mit ihren besten Freunden, plane Spielenachmittage mit anderen Kindern, gehe mit ihnen auf Spielplätze, wo sie auf bekannte Gesichter treffen. Und suche mit ihnen Orte auf, an denen sie regelmäßig auf fremde Kinder zum Spielen und Toben treffen.

3) Es bedeutet, dass ich meinen Kindern die Möglichkeit biete, regelmäßige Hobbys entsprechend ihrer persönlichen Interessen wahrzunehmen. Kinderturnen, die Kinderlesung in der Bibliothek, das neue (sportliche) Hobby des Tochterkindes … Unsere Kinder haben ihre festen wöchentlichen Termine und die nehmen wir auch mit absoluter Regelmäßigkeit wahr. Denn ich finde Hobbys wichtig für Kinder. Gerade, wenn sie keinen Kindergarten besuchen. Und ja, im Kinderturnen lernen die Kinder sogar, einen richtig schönen Purzelbaum zu schlagen …

4) Es bedeutet, dass wir viel unternehmen. Wildpark, Waldspielplatz, städtischer Park. Familiencafé, Indoor-Spielplatz, Spielenachmittage im offenen Familientreff. Bibliothek, Kindertheater, Museen. Die Liste an Dingen, die wir unternehmen und Orten, die wir besuchen, ist endlos. Zu Hause herumzusitzen gehört nicht unbedingt zu unseren Stärken 😉 Neben den festen wöchentlichen Terminen und Spieltreffs gehören daher zahlreiche geplante Ausflüge ebenfalls zu unserem Repertoire.

5) Es bedeutet, dass ich für ihre „Förderung“ verantwortlich bin. So ganz mag ich dieses Wort ja nicht, da ich „aufgezwungener“ Förderung nicht wirklich etwas abgewinnen kann. Meine Meinung ist eher, dass Kinder sich die Dinge, die sie für das Leben brauchen, im Alltag selbst aneignen. Man muss ihnen nur das entsprechende Umfeld bieten. Und präsent sein, um bei Bedarf Hilfestellung zu geben und Dinge erklären zu können.

6) Last but not least: Es bedeutet ganz konkret, dass ich es als meinen Job ansehe, mich um meine Kinder zu kümmern. Ganz schön old-fashioned, was? 😉 In der Vergangenheit habe ich Schule, Studium und Arbeit immer recht ernst genommen und (hoffe ich doch zumindest …) sehr gewissenhaft ausgeführt. Und so handhabe ich das auch mit meiner momentanen Lebensaufgabe. (Über mein Hausfrauen-Dasein folgt demnächst übrigens noch ein eigenständiger Artikel. Das Thema hat genug Potential für einen eigenen Artikel).

That’s life: Die Kinder sind immer und überall dabei

Andererseits bedeutet es natürlich auch, dass ich die Kinder immer und zu jeder Zeit um mich habe.  Und sie immer entsprechend einbezogen werden müssen. Arzttermine, Einkäufe, Behördengänge … Tochterkind und Sohnemann sind immer mit im Schlepptau. Das hat mir zwar schon den ein oder anderen erstaunten Blick eingebracht, die Kinder finden den Großteil dieser „Erwachsenensachen“ jedoch recht spannend. Bislang hat auch alles immer erstaunlich gut funktioniert. Wutanfälle an der Supermarktkasse, umgeworfene Pappständer in der Sparkasse oder eine komplett verdunkelte Abteilung im Kaufhaus (Sohnemann hatte den Lichtschalter entdeckt) finde ich jetzt auch nicht so toll, fallen bei mir aber unter „Alltag mit Kindern“. Diese Dinge kennen wohl so ziemlich alle Eltern. Bei uns passieren sie vielleicht lediglich etwas häufiger, da unsere Kinder öfter die Gelegenheit für solche Späße bekommen.

Werte ich es negativ, dass die Kinder zu solchen Terminen zwangsläufig mitkommen müssen? Denn diese Dinge sind ja so gar nicht kindgerecht? Nein, diese Situationen stellen neue Herausforderungen dar und bringen neue Anreize mit sich. Ich verbuche das eher unter „Schule des Lebens“.

Eines ist ganz klar: Man muss diesen Lebensentwurf mögen. Und den Weg gerne gehen. Wir tun dies leidenschaftlich gerne und ich hoffe, dass ich einen kleinen Einblick in unser Selbstbetreuer-Leben geben konnte. Und vielleicht für etwas mehr Klarheit in Bezug auf dieses Thema gesorgt habe. Und ich hoffe, dass es mir gelungen ist, die folgende überaus wichtige Botschaft zu vermitteln: Auch ohne Kindergarten können Kinder solch lebenswichtigen Dinge wie den perfekten Purzelbaum erlernen! 😉


Gehen eure Kinder in den Kindergarten oder seid ihr ebenfalls Selbstbetreuer? Und die alles entscheidende Frage: Können eure Kinder eine Rolle vorwärts? Hinterlasst mir doch eine (gerne auch ernst gemeinte) Antwort in den Kommentaren!