Ein Leben ohne Kindergarten? Wie kann denn SOWAS passieren?

Wer hier öfter liest weiß, dass unsere Kinder keinen Kindergarten besuchen. Wer neu hier ist wird sich nun sicherlich fragen, weshalb dem so ist? Nun, es gab bei uns weder eine missglückte oder gescheiterte Eingewöhnung, noch haben persönliche Erfahrungen oder Erlebnisse aus der eigenen Vergangenheit zu dieser Entscheidung geführt. Wir sind auch keine Kindergärten-Hasser oder lehnen eine außerhäusliche Betreuung generell ab.

Um es kurz zu machen: Der örtliche Kindergarten hat uns nicht zugesagt. Ganz und gar nicht *grusel*. Im Wunschkindergarten gab es keinen Platz für uns. Und nun? So sind wir also in die Selbstbetreuer-Schiene hineingerutscht, haben dieses Leben getestet, die Entwicklung der Kinder beobachtet und ihre jeweiligen Ansprüche berücksichtigt – und alles für gut befunden 😉

(Und wer die längere Version lesen möchte, der folge bitte dem Link 🙂 Et voilà: Weshalb unsere Kinder keinen Kindergarten besuchen. Und dies auch nicht tun werden.)

Von Vorurteilen und falschen Rückschlüssen

Natürlich ist dieses Lebensmodell in unserer Gesellschaft eher ungewöhnlich und wird nur von einer verschwindend kleinen Randgruppe wirklich aktiv gelebt. Das ist allerdings auch nicht verwunderlich und auch absolut okay, denn nicht jeder, der vielleicht gerne so leben möchte, kann dieses Modell auch wirklich umsetzen. Und nicht jeder, der es vielleicht umsetzen könnte, mag es dann letzten Endes auch tun.

Allerdings ergibt sich hier nun, wie bei jeder Abweichung von der Norm oder vom Mainstream, das folgende Dilemma: Das Lebensmodell „Kindergartenfrei“ ist mit zahlreichen haarsträubenden Vorurteilen behaftet.

Kindergartenfrei? Dinge, für die man keinen Kindergarten benötigt: kneten

Um an dieser Stelle möchte ich nun mal ganz ehrlich sein: Mich interessieren diese ganzen Thesen und Schwätzereien nicht mehr wirklich. Habe ich mir beim ersten Kind noch zu viele Gedanken hinsichtlich fehlender Förderung, mangelnder Sozialisierung und Co. gemacht, lässt mich das heute völlig kalt. Anstatt mir nämlich Gedanken zu machen, betrachte ich mir lieber meine Kinder und denke „Bingo! Was sind das denn bitteschön für zwei coole Socken!“ Das spart nämlich Zeit und Nerven. Dinge, die ich übrigens dringend für die Betreuung meiner Kinder benötige.

(Und wer sich nun dafür interessiert, wie wir das mit Sozialkontakten, „Förderung“ und all diesen Dingen denn so machen und praktisch umsetzen, ist herzlich eingeladen, hier weiterzulesen: Wir sind kindergartenfreie Selbstbetreuer. Aber was genau bedeutet das eigentlich?).

Von Verunsicherung und schlechten Ratschlägen

Aus Gesprächen mit anderen Selbstbetreuern höre ich jedoch oft etwas anderes heraus. Nämlich eine gewisse Unsicherheit. Und aus den vielen Mails anderer Mamas, die mich seit Veröffentlichung meines Blogs erreicht haben, spricht oft die gleiche Verunsicherung.

Auch, wenn diese Eltern ihre Kinder vielleicht einfach nur „erst“ mit drei Jahren in den Kiga geben wollen. Das Gerede der Umwelt und die (meist ungefragten) Kommentare führen oft zu einer nicht unerheblichen Verunsicherung. Das ist einerseits schade, andererseits allerdings auch absolut nicht verwunderlich. Beim ersten Kind ließ ich mich auch noch schnell verunsichern und verfiel in zu viele Grübeleien.

Und wie sieht die Realität nun aus?

Das Problem an dieser Sache: Kaum einer kennt wirklich Kinder, die kindergartenfrei aufwachsen und zu Hause betreut werden. Und an dieser Stelle sage ich jetzt: Aufpassen! Ich rede von Kindern, die zu Hause betreut(!) werden. Nicht von Kindern, deren Eltern alles egal ist und die zu Hause irgendwo vor der Glotze mit der Tüte Chips in der Hand verwahrlosen. (Wobei man diese Fälle dann wohl auch eher nur aus Reality-Formaten einschlägig bekannter Privatsender „kennt“, oder?).

Da ich nun nicht nur meine eigenen Kinder täglich vor Augen habe, sondern auch zahlreiche weitere Selbstbetreuer-Kinder wirklich kenne (und zwar so ganz in echt 😉 ) liste ich hier mal ein paar Dinge auf, für die man keinen Kindergarten benötigt. Sondern lediglich ein abwechslungsreiches, buntes und soziales Leben!

Kindergartenfrei? Dinge, für die man keinen Kindergarten benötigt. Schmetterling aus Knete

Man benötigt keinen Kindergarten…

1) Damit die Kinder „optimal gefördert“ werden.

Um Kleinkinder zu „fördern“ bedarf es nun definitiv keiner Sonderausbildung. Die beste Förderung für kleine Kinder ist sowieso das freie Spiel [1, 2]. Hier können sie sich, ihre Fähigkeiten und Potenziale frei entfalten. Abgesehen davon sind Kinder von Natur aus wissbegierige kleine Individuen, die unbedingt alles lernen wollen, was sie für ihr späteres Leben benötigen [3, 4].

Geht man daher ihren Forderungen, Fragen und Ansprüchen adäquat nach, muss man sich definitiv keine Sorgen machen, die Kinder könnten hinsichtlich einer mangelnden „Förderung“ irgendwelche Nachteile erfahren oder später in der Schule hinterherhinken.

Ein weiterer Aspekt: Wir haben zu Hause einen Betreuungsschlüssel von 2:1, wenn man es so nennen möchte. Aufgrund dieser Tatsache kann ich definitiv behaupten, allen Fragen und Ansprüchen meiner Kinder unmittelbar und qualitativ angemessen nachkommen zu können.

2) Damit die Kinder „sozialisiert“ werden.

Zugegeben: Meinen Hund musste ich für das Leben unter uns Menschen sozialisieren. Denn ein Hund ist ein Hund – und verhält sich wie ein Hund. Das soll er aber unter uns Menschen bitteschön nicht tun, denn kein Mensch möchte von einem Hund in Hundemanier gerügt und in die Nase gebissen werden. Das kommt allgemein nicht so gut an.

Meine Menschenkinder sind Menschenkinder – und verhalten sich wie Menschenkinder. Sie müssen nicht für das Leben unter Menschen „sozialisiert“ werden. Obwohl auch sie mir durchaus schon so manches Mal in die Nase gebissen haben.

Sie müssen lernen, welche Umgangsformen unter Menschen herrschen, welche Spielregeln in unserer Gesellschaft gelten, was man sich anderen gegenüber gerne herausnehmen oder vielleicht gerade noch so erlauben kann und wie man Konflikte sinnvoll löst.

Und all dies lernen sie im Umgang mit anderen Menschen. Mit Jungen und Alten, mit Fremden und Freunden, mit netten und auch mit unsympathischen Zeitgenossen. Dafür benötigt man keinen Kindergarten [5], sondern „lediglich“ ein möglichst buntes, anregendes und abwechslungsreiches Sozialleben.

3) Damit die Kinder selbstbewusst werden und lernen, sich durchzusetzen.

Ich habe nicht vor, öffentlich und im Netz die Eigenheiten meiner Kinder breitzutreten. Denn das betrifft Aspekte ihrer Persönlichkeit und darüber blogge ich nicht.

Allerdings sind Aspekte wie Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen meiner Ansicht nach sehr personenspezifische Eigenschaften, stark charakterabhängig und entwickeln sich im Leben auf vielfältige Art und Weise. Zum Beispiel primär durch das auf die Kinder einwirkende familiäre Umfeld [6].

Daher an dieser Stelle von mir nur so viel: Ob man selbstbewusst ist und sich durchzusetzen weiß ist wohl eher Typsache, abhängig vom jeweiligen Charakter und dem unmittelbaren Lebensumfeld.  Und daher: Nein, um eine durchsetzungsstarke Persönlichkeit zu werden, bedarf es  definitiv nicht zwingend des Besuchs eines Kindergartens…

Kindergartenfrei? Dinge, für die man keinen Kindergarten benötigt: kneten

4) Damit die Kinder lernen, sich „von Mamas Rockzipfel“ zu lösen.

Durchleben die Kinder nie eine Eingewöhnung, in der sie sich aktiv von ihrer primären Bindungsperson lösen müssen, hängen sie bis zum Sankt Nimmerleinstag an Mamas Rockzipfel und werden niemals selbständig. Das muss doch so sein, oder? Die wollen doch ewig bei Muddi bleiben!

Nein. Meine Kinder haben sich, obwohl sie wirklich extrem anhängliche (Tragetuch-)Babys und die erste Zeit lang so richtige Mama-Kinder waren, ab einem gewissen Alter ganz ohne Probleme von mir gelöst. Ich habe da auch immer fest auf die Maxime gesetzt, dass Kinder eigenständige und selbständige Menschen werden wollen! (Und teilweise ging mir das dann auf einmal fast zu schnell. Ich alte Glucke!)

Und irgendwann lösen sich die Kinder ganz alleine, in ihrem Tempo  und so, wie es für sie passt, Schritt für Schritt von Mama ab. Viele Kinder von Selbstbetreuern die ich kenne (inklusive meiner eigenen), sind sogar sehr früh und ohne jeglichen Hemmungen alleine zum Sport, in Spielgruppen, etc. gegangen (siehe hierzu auch [2]).

5) Damit die Kinder „so tolle Fortschritte“ machen.

Sehr oft höre ich das Argument „Kaum war der XY im Kindergarten, hat er so tolle Fortschritte gemacht. Der hat den Kindergarten jetzt echt gebraucht!“

Aber mal ehrlich: Woher will man wissen, dass diese Fortschritte in Sprache / Motorik / Entwicklung nun in direktem Zusammenhang mit dem Eintritt in den Kindergarten zu bringen sind? Ich meine, wir reden hier von im Schnitt ein- bis zweijährigen Kindern! Wie viele Entwicklungssprünge machen die denn bitte fast wöchentlich?

Zugegeben: Ich würde die zum Teil wahnsinnigen Fortschritte meiner Kinder teilweise echt gerne auf meine Kappe nehmen: „Boah, was mein Sohn da gerade alles gelernt hat und welche Fortschritte der gemacht hat! Das ist nur meiner intensiven Betreuung zu verdanken; die hat der jetzt echt gebraucht!“

Faktisch müsste ich hierzu allerdings das gleiche Kind in beiden Situationen erlebt haben. Einmal mit und einmal ohne Kindergarten. Und wenn wir ganz ehrlich sein sollen, dann war es wahrscheinlich doch nur ein ganz einfacher, banaler Entwicklungsschub… (Auch, wenn die andere Sichtweise deutlich schmeichelhafter ist für mein Ego 😉 ).

Quellen:

[1] http://www.huffingtonpost.de/2016/11/11/hirnforscher-kinder-muessen-spielen_n_12911730.html

[2] https://www.kindergesundheit-info.de/themen/spielen/hauptsache-spielen/entwicklungsfoerderung/

[3] Maria Montessori (Autorin) und Ingeborg Becker-Textor (Herausgeberin), „Zehn Grundsätze des Erziehens“ ,S. 12, Herder Verlag, 7. Auflage

[4] http://www.familienhandbuch.de/babys-kinder/bildungsbereiche/selbststaendigkeit/ErziehungzurSelbstaendigkeitinderFamilie.php

[5] http://www.leben-ohne-schule.de/andre.stern/interview.html

[6] http://www.kindergartenpaedagogik.de/25.html